Migration Zentralamerikas
Die Zeit rennt und heute in zwei Monaten bin ich tatsächlich schon wieder in Deutschland. Kaum zu fassen, wie schnell die letzten zehn Monate vorbeigeflogen sind.
Auch wenn ich bestimmt wieder eine Menge über meine Erlebnisse der letzten Wochen hier in Tepe zu erzählen hätte, geht es in diesem Beitrag mal nicht um mich, sondern um tausende junge und alte Menschen, Männer und Frauen, alleinstehende und Familien, die sich auf eine super gefährliche Reise durch Zentralamerika und Mexiko, bis in die USA machen, um dort ihren amerikanischen Traum zu leben.
In einem meiner ersten Blogeinträge habe ich schon einmal kurz erwähnt, dass neben diverser Gemeindeaufgaben auch Migranten meine Arbeit prägen.
Große Armut, politische Ungerechtigkeit und tägliche Kriminalität und Gewalt verleiten tausende Zentralamerikaner dazu, ihre Heimat zu verlassen und sich auf den Weg in die USA zu machen.
Einige brechen in großen Karawanen auf, die hauptsächlich zu Fuß unterwegs sind und an den Autobahnen Richtung Norden laufen. Die letzte große Migrantenkarawane, die sogar international für Schlagzeilen gesorgt hat, ist im Oktober letzten Jahres aufgebrochen. Auch hier in Mexiko hat sie für große Aufregung gesorgt. Einige Mexikaner haben sich mehr darüber empört, dass die Migranten ihre geliebten Bohnen anscheinend abgelehnt haben, andere hingegen haben sich um die vielen Menschen gesorgt und ihnen Essen gegeben oder ihnen eine Fahrgelegenheit geboten. Es ist kein Geheimnis, dass Migranten (vor allem im Norden Mexikos) oft Opfer von Bandenkriminalität, Korruption und Selbstjustiz werden (unter anderem auch Drogen- und Organhandel) und somit verschwinden viele spurlos.
Andere Migranten nutzen die Güterzuglinie, die sich durch ganz Lateinamerika bis in die USA zieht. Auf Grund der vielen Gefahren, die das „Reisen“ mit dem Güterzug mit sich führt, wird er auch „La bestia“ (die Bestie) genannt.
Auf arte.de (und auch auf youtube) habe ich eine für jeden frei zugängliche Kurzreportage gefunden, die vielleicht dabei hilft, sich mehr unter diesen Gefahren vorstellen zu können. Auch der Film „Sin nombre, Zug der Hoffnung“, bringt einem die erschreckende Realität der Migration Zentralamerikas näher.
https://www.arte.tv/de/videos/083369-000-A/mexiko-la-bestia/
Eben diese Gleise führen auch durch Tepetitlán, weswegen auch ich hier viel mit der Migration zu tun habe. Manchmal nur einmal in der Woche, manchmal täglich, klopfen Migranten an unsere Tür oder werden von uns eingesammelt. Hier in der Gemeinde, können sie dann eine Nacht in Sicherheit verbringen. Außerdem können sie sich stärken, waschen und ihre Familien benachrichtigen.
Einige kommen alleine und sind total verängstigt. Andere kommen in Gruppen und in Familien. Ich habe sogar schon kleine Kinder gesehen und schwangere Frauen. Manchmal sind sie verletzt, einer ist vom Zug gefallen und „la bestia“ hat seinen Arm abgeschnitten. Eine andere Gruppe wurde ausgeraubt und sie kamen ohne Schuhe zu uns.
Manchmal erzählen sie mir von den schrecklichen Erfahrungen, die sie auf ihrer Reise gemacht haben, und von dem Leben, das sie sich in der USA zu leben erhoffen.
Es folgen nun zwei sehr verschiedene, aber gleich bestürzende Interviews, die ich mit zwei von unseren Gästen geführt habe. Daniel erzählt, wie er und seine Freunde von der Migrationspolizei verprügelt wurden und Davis erklärt, warum er seine Reise so kurz vor dem Ziel abgebrochen hat und wieder zurück nach Honduras geht.
Woher kommst du Daniel?
Ich komme aus Honduras.
Und warum hast du Honduras verlassen?
Weil es viel Gewalt gibt und einen großen Mangel an Arbeitsplätzen und es gibt keine Unterstützung für die Bürger, geschweige denn für Jugendliche. Es gibt keine Hilfeleistungen in unserem Land und unfassbar viel Gewalt. Fast täglich bringen sie Leute in dem Sektor, in dem ich wohne, um. Und ja, deswegen.
Außerdem ist es schwierig mit der Arbeit. Um arbeiten zu können verlangen sie Papiere bis aus dem Kindergarten.
Und du weißt, zu was man sich überwindet, um seine Sachen zusammenzubekommen und seiner Familie zu helfen. Vor allem, wenn man so wenig verdient wie wir und trotzdem so hohe Steuern zahlen muss.
Und du willst in die USA gehen?
Ja, so zumindest die Hoffnung.
Was sind deine Träume für die USA? Was erhoffst du dir?
Ersteinmal, soweit Gott es mir erlaubt, hoffe ich, in den USA anzukommen. Ich möchte in Atlanta wohnen. Ja, mein Traum ist es in Atlanta zu wohnen und zu arbeiten. Ich möchte hart arbeiten, um meiner Familie helfen zu können, denn wir leiden unter großer Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Aussichtslosigkeit.
Wir sind viele in der Familie und es gibt keine Arbeit. Mein Vater ist ein Maurer und meine Mutter ist Hausfrau. Meine Brüder sind wegen eines neuen Bürgermeisters und des politischen Wechsels und so arbeitslos. Und somit sind wir beschäftigungslos und es ist schwierig so weiterzumachen.
Wie war deine Reise bis jetzt?
Sie war schrecklich.
Gott hat mich beschützt. Der großzügige Gott hat mich mit seinem kostbaren Mantel beschützt und immer, seitdem ich mein Land verlassen habe, gehe ich mit diesem Glauben, komme niedergekniet vor Gott, um ihn darum zu bitten, mich immer zu behüten. Auf meinem Weg habe ich viel gelitten.
Ich habe viel gelitten, weil ehm… zum Beispiel, als wir mit dem Zug gekommen sind, ist uns die Migrationsbehörde begegnet. Das war auf der Strecke von Medias Aguas nach Tuxtepec. So gegen zehn, elf Uhr nachts sind sie also gekommen und haben den Zug von den Wagons getrennt. Den Wagon, auf dem wir waren, ließen sie stehen. Sie leuchteten uns ins Gesicht und beschimpften uns als Diebe, als Gesetzesbrecher und so weiter.
Es waren auch viele Kinder da, die wir beschützen wollten. Und so wie wir da saßen, sagten sie uns, wir sollten absteigen und, dass wir Kriminelle und so seien.
Dann löschten sie die Lichter und schalteten ihre Taschenlampen aus. Überall waren Migrationsbeamte und nachdem sie ihre Taschenlampen ausgeschaltet haben, bewarfen sie uns weiter mit Steinen dieser Größe (zeigt handballgrossen Stein). Ein Stein traf mich hier (zeigt Verletzung) und meine Haut am Hals riss auf, weil der Stein aus Zement war.
Auch hier haben sie mich getroffen, am Rücken und auch mit Glasflaschen (zeigt Narben). Es war sehr grausam und hart, weil sie uns auch noch verfolgt haben. Sie haben uns drei Mal verfolgt und zwei mal das gleiche nochmal gemacht und uns verprügelt uns so, obwohl wir nicht herkamen, um dieses Land, Mexiko, zu belästigen.
Aber es gibt auch viele gute Menschen, die uns geholfen haben. Letztens hat uns die Gruppe Beta, so glaube ich heißt sie, geholfen. Sie sind gekommen, weil sie gesehen haben, dass wir zusammengeschlagen wurden.
Ein Freund hat es einmal im Auge getroffen. Sie haben ihn in sein Auge geschlagen und er ist vom Zug gefallen. Ganz ehrlich, mit Steinen haben sie ihn geschlagen. Eine andere Freundin war schwanger. Auch sie haben sie mit Steinen verprügelt, in ihren Bauch und es ging ihr sehr schlecht.
Auch viele Kinder, die wir beschützen wollten, haben sie mit Steinen beworfen und auch mit Glas. Die Zehen von einem Mädchen, das ca. 6 oder 7 Jahre alt war und das mit uns auf dem Zug gefahren ist, wurden zerstört, weil Glas auf ihre Füsse gefallen ist. Und auch auf ein weiteres Kind ist Glas gefallen und sie wurden, so wie wir, mit Steinen verprügelt.
Aber darüber hinaus hatten wir Gott sei Dank nicht viele Probleme. Nur den Zug. Man muss auf den Zug warten und ihm dann hinterherrennen, um aufzuspringen und so. Und wir müssen unser Essen erbetteln, weil wir unser Land ohne Geld verlassen haben. Aber Gott sei Dank gibt es viele Leute, die uns geholfen haben.
Meine erste Frage: Wie heißt du?
Ich bin Davis.
Woher kommst du Davis?
Ich komme aus Honduras.
Warum hast du Honduras verlassen?
Nun ja, das Leben in meinem Land ist sehr schwierig. Es gibt kaum Arbeit und wenn man Arbeit hat, wird man sehr schlecht bezahlt. Es reicht einfach nicht aus, nicht, um sich vernünftig zu versorgen, gerademal für das Essen genügt es.
Und ja, deswegen machen wir uns auf den Weg hierher. Deswegen sind wir hier, um unsere Träume zu erreichen.
Und du wolltest in die USA?
Ja, dort wollte ich hin, aber jetzt nicht mehr.
Warum willst du nicht mehr in die USA?
Also generell wird es immer mein Traum sein, in den USA zu leben, um meiner Familie zu helfen. Aber um ehrlich zu sein, werde ich, mit dem, was mir passiert ist, nicht so schnell versuchen zurückzukehren.
Hast du es bis in die USA geschafft oder..?
Nein, ich habe es nur bis zur Grenze geschafft. Dann hatten sie mich zwei Tage, das war hart.
Und jetzt willst du zurück nach Honduras?
Ja, jetzt will ich wieder nach Honduras. Deswegen gehe ich zurück.
Deine Reise war also nicht wirklich gut?
Nein, nicht wirklich. Nein, gut war sie nicht. Deswegen kehre ich jetzt zurück in mein Land.
Möchtest du vielleicht von einer Erfahrung von deiner Reise berichten? Etwas, was dir zugestossen ist? Oder was du an der Grenze erlebt hast?
Sie haben mich zwei Tage in einem Haus eingeschlossen….
Dann haben sie mich nach einer Telefonnummer gefragt, um meine Familie anrufen und erpressen zu können. Aber nein, das haben sie nicht erreicht. Ich habe ihnen keine Nummer gegeben, nichts gesagt.
Und bist du ihnen entflohen?
Nein, sie haben mich zurückgebracht. Sie haben mir alles abgenommen, was ich hatte und Fotos von mir gemacht. Sie haben mir gesagt, dass wenn ich zurückkomme und ich sie noch einmal belästige, dann werden sie mich umbringen. Und ja… sie haben Fotos von mir.
Waren das Polizisten?
Nein. Sie waren von der Mafia, von den bösen. Ja und deswegen wollte ich nicht weiter. Es hat mich allein vier Tage gekostet, von San Luis bis nach Querétaro zu laufen.
Du warst hier schon mal in der Gemeinde von Tepetitlán oder?
Ja, ich war vor etwa zwei Monaten hier. Ich bin zuammen mit einer Dame gekommen, einer Familie um genau zu sein. Ja genau, es waren insgesamt noch drei Personen mehr. Die Dame und noch zwei weitere. Sie hatten Kinder dabei. Ja… Aber ich möchte nicht mehr zurück zur Grenze. Ich bin auch sehr erschöpft. Guck mal meine Schuhe, in welchem Zustand sie sind, von der ganzen Lauferei…
Mich persönlich hat das zweite Interview besonders mitgenommen. Ich habe vorher noch nie jemanden getroffen, der entführt wurde, der auf der Flucht vor gefährlichen Banden ist, die ihn töten wollen, und der sich zwischen zwei aussichtslosen Situationen entscheiden muss: Ermordung an der Grenze zu den USA oder Armut und Kriminalität in der Heimat.
Es waren zwei sehr ergreifende Gespräche und andauernd muss ich an die vielen Migranten, die ich hier schon kennengelernt habe und die ich versorgt habe, denken und ich frage mich wie es ihnen geht. Sind sie schon in den USA angekommen? Leben sie noch…?
Ich hoffe, dieser etwas ernstere Beitrag konnte euch noch mal eine intensivere Sichtweise auf die Migration Zentralamerikas geben. Ich für meinen Teil habe mich vor meinem Jahr hier in Mexiko kaum mit den Migrantenströmen hier vor Ort beschäftigt. Viel präsenter waren die Flüchtlingswellen aus Afrika dem nahen Osten, doch ich finde auch die lateinamerikanischen Migranten verdienen unsere Aufmerksamkeit.
Somit unterstützt der Verein aus ehemaligen Mexiko-Freiwilligen (Animo) zum Beispiel ein Migrantenhaus, das hier in der Nähe von Tula ist. Auch Padre Teo, dem die Migranten sehr am Herzen liegen, setzt bereits seine Pläne für ein Migrantenhaus hier in Tepe in die Tat um. Aktuell werden Spenden gesammelt, um das schon erworbene Grundstück an den Gleisen zu reinigen und zu planieren. Dann werden wir von größeren Institutionen dabei unterstützt, das Haus fertigzustellen.
Bis dahin werden wir weiterhin Migranten hier in der Gemeinde aufnehmen und verpflegen. Viele Gemeindemitglieder helfen uns mit Essens- und Kleidungsspenden und einigen Migranten wird sogar Arbeit angeboten, damit sie ihre Reise nicht fortsetzen müssen oder wenigstens mit dem Bus bis zur Grenze fahren und nicht mehr auf „La bestia“ angewiesen sind. Außerdem holen wir uns gerade diverse Angebote für Matratzen ein, die wir für die Migranten anschaffen wollen. Bisher schlafen sie nämlich auf harten Teppichen und zerfetzten Decken. Und wer sich fragt wie das ganze finanziert wird: Vor meinem Jahr habe ich Flyer verteilt und Freunde, Nachbarn und Verwandte angesprochen und nach Spenden gefragt. Alle Spenden, sie meine Mitfreiwilligen aus dem Bistum Münster und ich sammeln, gehen in einen großen Geldtopf. Mit dem Geld können wir dann verschiedenste Projekte finanzieren und zum Beispiel Materialien für Kindergruppen oder eben Matratzen für Migranten kaufen.
Zeigt diesen Beitrag euren Freunden oder sonst wem, wenn ihr mir zustimmt, dass die Migration Zentralamerikas mehr Aufmerksamkeit verdient…
¡Hasta luego!
Tere